Robert Frohn: Köln als Pilgerziel und Sammelpunkt der Jakobspilger

(aus: Die Kalebasse, Nr. 3, Düsseldorf 1987, S. 3-7)

Köln als Pilgerziel und Sammelpunkt der Jakobspilger

Dr. Robert Frohn

 

Die Verehrung des Apostels Jakobus des Älteren breitete sich von Santiago de Compostela schon am Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends schnell aus, auch in die deutschsprachigen Gebiete hinein. Georg Schreiber erwähnt in seiner sehr umfangreichen Darstellung „Deutschland und Spanien“ (Düsseldorf 1936), der Erzbischof Luitpold von Mainz (1051 – 1054) habe nahe bei seiner Bischofstadt das Kloster St. Jakob vollendet und sein Nachfolger Siegfried I. sei sogar 1071 nach Spanien aufgebrochen, um am Grab des Hl. Jakob zu beten. Was im gleichen Jahr in Köln geschehen ist, bezieht er in seine Arbeit nicht ein.  Das ist sicherlich darin begründet, dass die Kölner Quellen zu unserem Thema noch wenig erschlossen waren und auch heute noch auf Bearbeitung warten. Meine Ausführungen können daher nicht mehr als Skizze sein.

Doch zurück zum Jahre 1071: Damals weihte in Köln am 2. Pfingsttag Erzbischof Anno II. (1056-1075) die Kirche St. Jakob ein. Er hatte sie ostwärts neben der Kirche des ebenfalls von ihm errichteten Chorherrenstifts St. Georg bauen lassen. St. Jakob war als Pfarrkirche für die Kölner Bürger gedacht, die damals schon um die Straße Köln-Bonn herum südlich der ehemaligen römischen Mauer wohnten (die Eingliederung dieses Bezirkes in die Stadt erfolgte erst 1106). Während der Erzbischof die Kirche weihte, brach zweimal in der Stadt Feuer aus.  Beide Brände konnten schnell gelöscht werden. Anno vollendete die Weihe wie geplant und nutzte seine Predigt zu einem Dank an Gott für seine Güte bei der Bewahrung vor Schaden infolge von Nachstellungen des Teufels. Der gute Ausgang der Weihehandlung dürfte den Kölnern lange in Erinnerung geblieben sein.

Wie Stiche oder Zeichnungen aus späterer Zeit bestätigen, war St. Jakob nach den Worten der „Lebensbeschreibung Annos“ eine „elegantis artificii capella“, eine „Kirche erlesener Kunst“.   St. Georg und St. Jakob bildeten einen eindrucksvollen Abschluss des Platzes nördlich von ihnen, der vom Mittelalter an bis heute den Namen Waidmarkt hat.

Waid ist eine Pflanze, die die Färber im Mittelalter verwandten, um dem Leinen ein kräftiges blaues Aussehen zu geben. Sie wurde im Jülicher Land angebaut und in der Nähe der Wohnungen und Betriebe der Blaufärber auf dem Waidmarkt angeboten. Die Waidhändler,  gut verdienende Gewerbetreibende, schlossen sich Anfang des 14. Jahrhunderts zu einer Zunft zusammen, nach dem damaligen, in Köln üblichen, noch vom kirchlichen Denken [3] bestimmten Sprachgebraucht zu einer „Bruderschaft“, zu deren Patron sie den Hl. Jakobus wählten. Die St. Jakobs-Bruderschaft der Waidhändler hatte nach den vorliegenden Namenlisten 48 Mitglieder.

Im 14. Jahrhundert wurde ferner das Hospiz St. Georg auf der Westseite des Waidmarktes in St. Jakobs-Konvent umgewandelt.  Die Änderung mehr wohl des Namens als der Aufgabe der Einrichtung lässt erkennen, welche Bedeutung die Pfarre St. Jakob neben dem Stift gewonnen hatte.

Bei der kirchlichen Neuordnung unter Napoleon wurde die Kirche St. Jakob 1803 geschlossen,  das Gebäude diente bis zur Versteigerung auf Abbruch im Jahre 1825 als Magazin. Mit den anderen Kölner Stiften war 1802 das Stift St. Georg aufgelöst worden, seine Kirche wurde 1808 der Pfarre St. Jakob zugewiesen. Erst im Jahre 1925 verfügte die erzbischöfliche Behörde, sie führte fortan den Namen St. Georg. Jetzt bestand also weder eine Kirche noch eine Pfarrei St.  Jakob in Köln. Erst 50 Jahre später, als das Kölner Stadtgebiet erheblich erweitert wurde, kam mit der Gemeinde Widdersdorf wieder eine Pfarrei St. Jakob zur Stadt und mit ihr eine Kirche St. Jakob, ein Bauwerk aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Von 1927 bis 1930 wurde die inzwischen baufällige Kirche St. Georg von 
Grund auf restauriert.  Neue Fenster des bedeutenden Glasmalers Jan
 Thorn-Prikker in ihrem Westchor erinnerten mit den Gestalten der Heiligen 
Anno, Georg und Jakob an ihre wechselvolle Geschichte; im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurden sie bei der Herstellung der Kirche nach den noch vorhandenen Entwürfen erneuert.

Sind auch Pilgerfahrten von Angehörigen der Pfarre St. Jakob zur Ruhestätte ihres Patrons aus dem Mittelalter und den ersten Jahrhunderten der Neuzeit bezeugt? Karl Corsten nahm in seine „Studien zur Pfarrgeschichte von St. Jakob in Köln“ (1956) auch ein Kapitel über „Heiligtumsfahrten und Wallfahrten“ auf. Nach seinen Untersuchungen beteiligte sich St.  Jakob fast ausschließlich an den Heiligtumsfahrten nach Trier und vor allem Aachen. Immerhin belegt Corsten,  dass auch zu Ende des 16. Jahrhunderts „St. Jakob in Compostella in Gallicia Hispania“ noch als Wallfahrtsziel bekannt war und wusste sogar einen entfernten Verwandten eines Mitgliedes der Kölner Pfarre St. Jakob zu benennen, der viermal in seinem abenteuerlichen Leben von 1439 – 1503 als Pilgerführer in Santiago de Compostela gewesen war. Nicht die Pfarrkirche St. Jakob,  sondern, was zunächst manchen erstaunt, der Dom war Pilgerziel und Sammelpunkt auch der Jakobspilger. [4]

Hier wurden nach der Übertragung ihrer Gebeine 1164 von Mailand nach Köln die Hl.  Dreikönige verehrt; hier machten auch Pilger, die von weither kamen, vor allem aus Ungarn,  und nach Aachen wallfahrteten, vor ihrem Schrein Statio; hier fanden Kölner wie Pilger von auswärts ebenfalls Gelegenheit zur Verehrung des Hl. Jakob. Im gotischen Dom nämlich, genauer gesagt im Umgang des fertiggestellten Chores war auf der Nordseite die zweite Kapelle dem Hl.  Jakobus gewidmet (erst später erhielt sie den Namen Maternuskapelle). In ihr stand ein Jakobus-Altar. Ferner hielt das mittlere ihrer drei großen Fenster, das der Meister der Chorkapellenfenster wohl zwischen 1315 und 1320 geschaffen hat,  Szenen aus dem Leben des Hl. Jakobus fest. Im Jahre 1848 wurde das Fenster in die Johanneskapelle umgesetzt, so dass die ursprüngliche Bestimmung der zweiten Kapelle im nördlichen Chorumgang nur noch den Fachleuten bekannt war.  Nach seiner Restaurierung ist das Jakobus-Fenster seit kurzem wieder an seinem ursprünglichen Platz zu bewundern.

Die Bedeutung der Kathedrale überhaupt und die Errichtung einer Kapelle zu Ehren des Hl. Jakobus dürften dazu beigetragen haben, dass am 24. Juli 1406, also am Tag vor dem Jakobusfest, im Dom eine „Bruderschaft von St. Jakob zu Compostella“ gegründet wurde. Mitglied konnte nur werden, wer vorher „zo sente Jacob zu Compostellen geweist“ war.  Die Aufnahmegebühr betrug 4 Gulden 2 Schilling nebst einem Viertel (wohl Fuder) Wein.  Die Bestimmungen ferner über die jährliche Wahl der Meister und Ratsmänner legen es nahe, mit Joseph Klersch im 3. Band seines Buches über „Volkstum und Volksleben in Köln“  (1968, Seite 32) vom „durchaus patrizischen Charakter“ dieser – anders, als wir das Wort eben gebraucht haben, – rein geistlich-religiösen Gemeinschaft zu sprechen.

Das Bruderschaftsbuch ist noch erhalten. Es weist mehrere zusätzliche Eintragungen in unterschiedlicher Schrift auf. 171 Namen,  teils quer, teils zusätzlich oder nur längs durchgestrichen, viele mit Kreuzen versehen, bilden den Schluss.  Wie lange die Bruderschaft bestanden hat, ist bisher noch nicht bekannt. Jedoch scheint im 16. Jahrhundert ein großer Wandel in der Verehrung des Hl. Jakob eingetreten zu sein. Auch hierfür haben wir ein bedeutsames Zeugnis aus unserer Stadt aus den letzten Jahren des 15.  Jahrhunderts, nämlich den Bericht über „Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien,  Syrien, Aegypten, Arabien, Aethiopien Nubien, Palästina, die Türkei, Frankreich und Spanien“ von 1496 – 1499. [5]

Bei der Rückkehr,  die ihn auf dem Landweg,  also über Konstantinopel nach Oberitalien führt, auf einem Umweg von dort durch Südfrankreich und Nordwestspanien, besucht er Tolosa (Toulouse) und anschließend Compostela. St. Saturninus  (heute St. Sernin) in Tolosa nahm für sich in Anspruch, sechs Gräber von Aposteln zu haben, darunter auch von „St.  Jacobus dem Großen“ und dem „kleinen Jacobus“, von diesem ohne sein Haupt.  Was ihm in Compostela widerfuhr, hält Ritter Arnold mit folgenden Sätzen fest: „Compostella ist ein kleines schönes (lustich) angenehmes Städten in Galizia,  dem König von Kastilien untertan.  Darin liegt eine schöne große Kirche. Auf dem Hochaltar steht ein großer hölzerner Heiliger, der Hl. Jacob, mit einer silbernen Krone auf dem Haupt. Die Pilger steigen hinter dem Altar hoch und setzen die Krone auf ihren Kopf, worüber die Einwohner uns Deutsche verspotten. Man sagt, dass der Leichnam St. Jacobs des Älteren im Hochaltar sei oder liege. Andere bestreiten das tatsächlich,  da er zu Tolosa im Languedoc liege, wie ich schon geschrieben habe. Doch ich wollte durch ein großes Geschenk erreichen, dass man mir den heiligen Körper zeige. Man antwortete mir, wer nicht fest glaube, dass der heilige Körper des Apostels St. Jacobs des Älteren im Hochaltar liege, daran zweifle und dennoch ihn sehen wolle, müsse von Stund an wahnsinnig (unsynnich) werden wie ein rasender Hund. Darauf reichte es mir, und wir gingen zur Sakristei. Da zeigte man uns das Haupt des kleinen Apostels Sankt Jacob und viele andere Heiligtümer. Vor der Kirche werden unzählige große und kleine Muscheln angeboten. Davon kann man kaufen und eine an seinem Mantel befestigen und sagen, man sei dagewesen.“

Eine gründliche Untersuchung des Berichts von Ritter Arnold fehlt noch. Daher muss man sich vor einer Überinterpretation dieses vielzitierten und herangezogenen Textes hüten. Dass der Verfasser mehr berichten als Stellung nehmen oder Kritik üben will, ist offensichtlich.  Dennoch lässt die fast ironisierende Darstellung eine Distanziertheit gegenüber Tolosa wie Compostela vermuten.

Welcher Wandel in der Verehrung des Hl.  Jakobus vor sich ging, erhellt auch daraus, dass die Jakobus-Bruderschaften am Rhein im 16. Jahrhundert stark absanken und „zu Gruppen von fahrendem Volk, Landstreichern und Bettelsängern wurden. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges war der Ausdruck Jakobsbruder in Köln zu einem Schimpfwort geworden.“  (Klersch, a.a.O.,  S. 33) [6]

Nach der Erneuerung der Kirche als Antwort auf die Reformation gewannen die Wallfahrten wieder erheblich an Bedeutung, obwohl die Kriege, der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648), die Kriege zur Zeit Ludwigs XIV. von Frankreich, vor allem der Spanische Erbfolgekrieg (1701 – 1714) und nicht zuletzt der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) Wallfahrten und Pilgerreisen häufig beträchtlich erschwerten, vielleicht sogar ganz verhinderten.

In ruhigeren Zeiten nahm die Zahl der Wallfahrten wie der Einzelpilger stark zu. Gegenüber unserem späteren Zeughaus, also nicht weit vom Maternushaus, in dem Sie tagen,  stand seit Beginn des 14. Jahrhunderts das Hospital zum Ipperwald als Herberge für Pilger,  aber auch Fremde überhaupt. Die Listen der dort Aufgenommenen aus den Jahren 1770 bis 1790, also bis kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution, sind noch vorhanden. Rund 15 500 Personen,  Männer,  Frauen und Kinder aus 126 Orten sind in ihnen erfasst. 582 von ihnen kamen von Compostela, 103 waren auf dem Weg dorthin. Aachen – um ein Gegenbeispiel zu nennen – taucht als Ziel in dieser Zeit keinmal auf,  immerhin geben 24 an, von dorther zu kommen. Dabei spielte sicherlich eine Rolle, dass Joseph II. ab 1776 nur noch Wallfahrten innerhalb seiner österreichischen Erbländer und nach Maria Zell erlaubte.

In der Entwicklung der Wallfahrten gibt es im Gesamten wie im einzelnen ein stetes Auf und Ab.  Zur Zeit erfreut sich Santiago de Compostela, wie auch Ihre Tagung bestätigt, großer Beliebtheit. Möge es lange so bleiben. [7]