(aus: Die Kalebasse Nr. 13, 1993, S. 7-10)
Die Pilgerherberge Azofra – ein Jahr nach der Einweihung(Von Herbert Simon)
Am 4. Juni 1993 erreichte ein Buspilgergruppe der evangelischen Gemeinde Biedenkopf-Breidenstein mit Pfarrer Klaus Koch das Refugium Azofra. Der Ortspfarrer Don Ignacio Melchor, der Küster Arsenio Tobia und seine Schwester Maria – die Betreuer der Herberge – empfingen die Gruppe. Die Pilger übergaben, von einem Kölner Hotel [7] gestiftet, 20 Wolldecken und als besondere Verbindung zu den Santiago-Freunden Köln eine Steinblume vom Kölner Dom, ein Geschenk der Dombauhütte Köln. Bei einem Umtrunk mit dem guten „Clarete“ (Roséwein) aus Azofra wurde vom einmaligen Einweihungsfest am 30. Mai 1992 und vom Bau der Herberge erzählt. Staunend fragte man, wie es denn zum Bau gekommen sei… und was denn die Einweihungsfeier vor einem Jahr so hervorgehoben habe … Eine Pilgergruppe aus Köln und Coesfeld hatte nach mehreren Jahresetappen von Le Puy aus ihr Ziel, Santiago de Compostela, erreicht – mit 20 Pilgern. Aus dem Erleben liebenswürdiger Gastfreundschaft in Spanien reifte der Plan, den Dank konkret in die Tat umzusetzen: eine kleine Herberge zu bauen, um die teilweise nicht ausreichende Unterbringung der Pilger zu bessern. Der Weihbischof Rudolf Müller von der Prokathedrale St. Jakobus in Görlitz – mit 30 Jugendlichen war er im August 1989, vor der Wende, auf Pilgerfahrt mit dem Papst in Santiago – stiftete als erster symbolisch seinen Kugelschreiber „für die Schreibstube“ zur Konstruktion der Pilgerherberge. Denn Herbert Simon von den Santiago-Freunden Köln hatte die Pilger aus der damaligen DDR in Santiago begleitet. In drei Jahren war die Idee verwirklicht. Vier Kölner Ehepaare hatten inzwischen den Ruhestand erreicht. Sie planten miteinander und machten sich in vier Einsätzen, jeweils bis etwa vier Wochen, an die Arbeit – im 1.800 km entfernten Azofra/La Rioja: Peter und Waltraud Cramer, Hans und Elisabeth Franzen, Rudolf (technische Leitung) und Martha Franzen sowie Herbert und Liliana Simon. Ein Jugend-Arbeitscamp leistete Vorarbeiten. In die Arbeiten der Kölner gliederten sich zunehmend Bürger und Freunde Azofras ein, auch der Alcalde. Pfarrer und Küster sah man zeitweise nur im „Blaumann“ oder Gottesdienstkleidung. Aktiv packten auch die „Freunde des Jakobswegs in La Rioja“ mit ihrem Präsidenten José Carlos Rodriguez zu. Manche Freunde in Deutschland hatten durch Geld- und Sachspenden das Projekt unterstützt. Jeder Pfennig davon wurde gewissenhaft nur für das Baumaterial und die Einrichtung verwendet. Eine schlichte Einweihungsfeier sollte alle Mitarbeiter an diesem deutsch-spanischen Gemeinschaftswerk einmal zusammenführen: 30. Mai 1992. Am Morgen dieses Tages trafen sich an der alten Königsbasilika „Santa Maria La Real“ (1054) in Nájera etwa 40 Pilger aus Spanien und Deutschland. Sie gingen den alten Camino de Santiago, den Jakobsweg, etwa 7 km lang nach Azofra – bei hellem Sonnenschein nach vielem Regentagen. Der Taizé-Gesang „Nada te turbe…“ (Teresa von Avila) – „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken, nichts fehlt dem, der Gott hat!“ begleitete die Pilger. Mit Glockengeläut wurden sie von der Kirche Santa Maria de los Angeles auf der Anhöhe Azofras empfangen. Berichte von Fernsehen, Rundfunk und Presse füllten die Zeit bis Mittag, bis zum Beginn des Pontifikalamtes. [8] Die Feier der Einweihung der Pilgerherberge begann der Bischof der Diözese Calahorra-Santo Domingo de la Calzada-Logrono, Don Ramón Búa Otero, mit einer festlichen Messe in der überfüllten Kirche (ca. 1500 erbaut). Texte und Gebete wurden für die deutschen Teilnehmer teils in deutsch gesprochen. Für die Übersetzung der Predigt hatte sich der Bischof Don Felix Rodriguez, der 30 Jahre Pfarrer in Deutschland war, mitgebracht. Langen Applaus hörten die Kölner Santiago-Freunde und ihre Mitarbeiter aus Azofra. Im Anschluß an die Textstelle von Markus 10,35-45, wo sich die Mutter Salome der Apostel Jakobus und Johannes um Macht und Ansehen ihrer Söhne im Reiche Gottes bemüht, zeichnete der Bischof die Gestalt des Jakobspilgers: nicht Ringen um Besitz und Macht bestimmt ihn, sondern Bescheidenheit, Einfachheit und Bereitschaft zum Dienen. Dank der großen Kunst des bekannten Musikologen Prof. Eusebio Goicoechea (Madrid), dem bedeutenden Sammler europäischer Musik auf den Jakobswegen, wurde der Gottesdienst auch ein musikalisches Erlebnis: vom Lied der deutschen Jakobspilger bis zur europäischen Pilgerhymne des „Ultreia!“, des „Dum Paterfamilias“ aus dem 11. Jahrhundert. Die Festesfreude floß über von der Kirche auf das Dorf hinab. Die ca. 1650 aus Holz geschnitzte Jakobusfigur mit einem Gewicht von 60 kg hatte man das erste Mal aus dem Altarretabel von 8 m Höhe geholt und trug sie in Prozession durch das Dorf. Die Festgäste, die Bevölkerung, Fahnen und zwei jugendliche Volkstanzgruppen aus dem Dorf (ca. 400 Einwohner) begleiteten sie mit kultischen Tänzen zur Musik der Dulcaina-flöten und Trommeln. Vor der Herberge an der Westseite der Kirche sammelte man sich. Dann nahm der Bischof die Einsegnung der Pilgerherberge vor. Für die anwesenden Deutschen begrüßte Herbert Simon in spanischer Rede die weltlichen und kirchlichen Autoritäten, die vielen Freunde aus Spanien, Vertreter der verschiedenen Vereinigungen der Freunde des Camino des Santiago, besonders den Kulturrat der Autonomen Region La Rioja: Dr. Miguel Angel Ropero, auch den Vorsitzenden der „Sankt-Jakobusbruderschaft Düsseldorf e.V.“: Dr. Gerd Gellißen, sowie alle Anwesenden. Der Redner würdigte die spanisch-deutsche Gemeinschaftsleistung und dankte allen Beteiligten. Er ging auf einzelne Ereignisse in der Geschichte des gastlichen Dorfes ein, das schon 1168 urkundlich ein Pilgerhospital hatte. Der Jakobsweg möge dem Pilger so zur Straße der Begegnung werden – der Begegnung 1) mit dem Mitmenschen, vor allem auch mit den wissenden Alten, 2) mit sich selbst, als Meditation, 3) mit Gott. Viele Grußbotschaften aus Europa gab es zu diesem Tag. Die Grüße seiner Vereinigung überbrachte der Präsident der „Amigos del Camino de Santiago de Rioja“, José Carlos Rodriguez Alvarez. Liliana Simon wandte sich in ihrer Ansprache den vielen Mitarbeitern aus dem Dorf zu, sowie den hilfsbereiten Dorfnachbarn. In gutem Spanisch, gewürzt von Lokalkolorit, würdigte sie deren Verdienste. Als Koordinator zwischen der Baustelle und den einzelnen Handwerkern und den Baumaterialhandlungen hatte sie durch ihre Dynamik für zügigen [9] Ablauf der Arbeiten gesorgt. Sie kannte auch die Menschen im Dorf. Diese hatten für die arbeitenden Kölner Unterkunft besorgt, sie brachten zur Bereicherung der Küche Gemüse von den Feldern, Guindilla (scharfe Paprika), Chorizo (Paprikawurst) und den selbstbereiteten Riojawein Clarete oder Tinto. All die kleinen Liebenswürdigkeiten der gemeinsamen Arbeitszeit in La Rioja wurden noch einmal angenehm und dankbar lebendig. Grundsätzliches über den Pilgerweg sagte der Koordinator der spanischen Jakobusvereinigungen, Angel Luis Barreda. Das Wichtigste auf dem Camino de Santiago sei der Mensch, der Pilger. Erst der Pilger mache den Weg. Ohne Pilger kein Weg. So sei die Hauptaufgabe, dem Pilger in seinem Anliegen zu helfen. Es bedürfe eben der helfenden Menschen, wie dieser, die hier die Herberge erbauten. Der Kulturrat des Landes stimmte zu, erwähnte aber als Aufgabe des Staates auch die Förderung des Kulturtourismus. Er müsse aber die Stille des historischen Pilgerweges respektieren. Keinesfalls dürfe der Camino modernen Bauvorhaben geopfert werden. Eine Ehre für die Feiernden war es, daß auch der Nestor der heutigen Santiago-Bewegung Spaniens, Don Francisco Beruete aus Estella gekommen war. Wahrend der Reden hatten auf dem Marktplatz, der Plaza, Frauen der Dorfgemeinschaft für etwa 500 Teilnehmer lange Tische gedeckt mit Tapas, Spezialitäten der Rioja und vor allem mit genügend gutem Hauswein. Folkloremusik und Tänze machten die Begegnung mit den vielen Santiagofreunden zum Fest. Jesus Arias Jato – als Herbergsvater von Villafranca del Bierzo den Pilgern bestens bekannt – bereitete seine galicische Quemada (eine Art Feuerzangenbowle) als Gasttrank für alle. Drei deutsche Pilger, zwei in deutlicher Oberbayerntracht und eine aus Berlin, wurden vom Fest in Azofra überrascht – blieben und erlebten mit uns einen der Höhepunkte ihres Pilgerweges. In Nájera und in den Bodegas in den Hügeln Azofras feierte man die freundschaftliche Begegnung und den Erfolg eines ausdauernden Bemühens noch in die Nacht hinein. Aus dem Pilgertagebuch Azofra (5.6.1992): „Am Anfang des Tages hatten wir Regen und Kälte; als wir in Azofra ankamen: die Wärme seiner Menschen.“ Der hier angedeutete Dank geht an alle weiter, die das Refugio Azofra in irgendeinerweise Weise möglich machten – mit dieser Ausstrahlung. Und heute – ein Jahr danach ? im Ano Santo Jacobeo ? Ein Brief vom 18.6.93 (G. Bock): Die Herberge ist dem Pilgerleben angepaßt und hat eine gemütliche Atmosphäre – wir haben uns dort sehr wohl gefühlt und genossen die schönen Räume." Und das Dorf Azofra, sein Pfarrer Don Ignacio, sein Küster Arsenio mit seiner Schwester Maria empfangen im gleichen Geist den verstärkten Pilgerzug der Heiligen Jahres 1993. [10]
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