Rezision von Heinrich Wipper M.A.
Dialoge auf dem französischen Jakobsweg “via lemovicensis”. Solingen, Verlag U. Nink, 2019, 200 S., ISBN 978-3-934159-44-0, € 17,80
Im Jahre 2004 pilgerte Pfarrer Dr. Kurt-Peter Gertz zu Fuß vom Niederrhein nach Santiago de Compostela. Der Weg durch Frankreich, insbesondere die “Via Podiensis” vom französischen Zentralmassiv bis zu den Pyrenäen, gefiel ihm so gut, dass er beschloss, nach der Pensionierung auch die anderen traditionellen Jakobswege des Nachbarlandes zu absolvieren. 2011 war er auf der “Via Tolosana” ganz im Süden Frankreichs unterwegs. Nach weiteren sieben Jahren, also im Jahre 2018, startete er von Vézelay aus auf der “Via Lemovicensis”, auch “Voie de Vézelay” (Vézelay-Weg) genannt, wiederum in Richtung Pyrenäen. Unterwegs führte Dr. Kurt-Peter Gertz wie gewohnt ein Tagebuch.
Dem pilgernden Ruheständler war von vorneherein klar, dass dieser Weg durch keine so schöne Landschaften führen würde wie die bereits oben genannten französischen Jakobswege. Statt das zu bedauern, nutzte er die Zeit für fiktive Gespräche mit dem hl. Jakobus. Denn es gab einiges, was er von diesem Apostel, der zum engsten Kreis um Jesus gehörte, gerne wissen wollte. Manchmal wandte sich der Heilige auch von sich aus an ihn.
In Vézelay, dem Anfangspunkt der “Via Lemovicensis”, steht eine der großartigsten romanischen Kirchen Frankreichs: die Abteikirche Sainte Madeleine. Hier werden seit Jahrhunderten die Reliquien der hl. Maria Magdalena (fr. Madeleine) verehrt. Von dieser Heiligen wird im Neuen Testament berichtet, dass sie Jesus die Füße salbte und mit ihren Haaren trocknete und in der Stunde seines Todes unter dem Kreuz weilte. Ihr zuerst erschien der auferstandene Christus, und sie brachte den ratlosen Aposteln die Botschaft, dass er von den Toten auferstanden sei. In der katholischen Kirche gilt Maria Magdalena als die große Sünderin, die sich durch Christus zu einem heiligmäßigen Leben bekehrte. Schon früh gab es Berichte, dass Jesus ein besonderes Verhältnis zu Maria Magdalena hatte. Das Thema bot auch Stoff für Romane unserer Zeit.
Und schon hier in Vézelay nahm Jakobspilger Dr. Kurt-Peter Gertz allen Mut zusammen und fragte den hl. Jakobus: “Es gibt Gerüchte, die besagen, dass Maria Magdalena etwas mit Jesus hatte (bzw. umgekehrt) und in einer Schrift aus dem 2. Jahrhundert, dem ‘Evangelium nach Philippos’ steht sogar, dass Jesus sie oft auf ihren Mund geküsst hätte. Was sagst DU dazu?” Obwohl ihm die Frage lästig war, antwortete der Pilgerapostel: “Ich kann dazu nicht viel sagen. Beide mochten sich sicherlich sehr und haben sich auch oft in den Arm genommen und gestreichelt. Das erklärt ja auch, warum Mirjam ihn nach der Auferstehung berühren wollte. Aber ob sie sich geküsst haben oder ob noch mehr zwischen beiden war, kann ich nicht sagen.”
Aber solche fiktive Gespräche machen nicht den Hauptteil des Tagebuches aus, das im März des Jahres 2019 veröffentlicht wurde. Es werden darin viele hilfreiche Informationen zum Verlauf und zur Beschaffenheit dieses Weges gegeben, zu den Landschaften, die durchquert werden, zu den Städten, die auf dem Weg liegen, vor allem zu Vézelay, Saint-Léonard-de-Noblat, Limoges und Périgueux, zu den Kirchen und Bauwerken mit ihren Kunstschätzen, zu den Brücken, Schlössern und Burgen.
Der Autor gibt an vielen Stellen wertvolle spirituelle Hinweise zu kirchlichen Festen und biblischen Texten des jeweiligen Tages, setzt sich aber auch sehr kritisch (vielleicht manchmal ein wenig überzogen) mit der Lage der katholischen Kirche in Deutschland und Frankreich auseinander und blickt selbstkritisch und versöhnlich auf seine über 40jährige Tätigkeit in der Kirche zurück.
Von den vier klassischen französischen Jakobswegen fehlt jetzt dem inzwischen 76 Jahre alten Ruhestandspfarrer nur noch die “Via Turonensis”, der Jakobsweg von Tours zu den Pyrenäen. Er sollte darauf nicht weitere sieben Jahre warten, denn dann könnte es zu spät sein.
Heinrich Wipper, M.A.
(aus: Die Kalebasse, Nr. 66, 2019, S. 69f)